Nun ist also wirklich der letzte Tag meines Ankara-Aufenthaltes angebrochen. Ich sitze noch einmal im Goethe-Institut und geniesse die Annehmlichkeiten dieses Ortes - freien Internetzugang und einen ruhigen Arbeitsplatz! Draussen rauscht der Verkehr auf dem sechsspurigen Atatürk Bulvari vorbei und Unmengen von Fussgängern tapern die Trottoirs entlang. Warum bewegen die sich nur den ganzen Tag?
Ich dagegen geniesse die Ruhe der Bibliothek und habe auch das kleine Cafe inzwischen schätzen gelernt, in dem ich einmal sogar mit einer Mohnschnecke verwöhnt wurde.
Die letzten Tage waren schon Abschied nehmen und noch mal Eintauchen in das geschäftige Leben der Großstadt. Es mussten noch Geschenke besorgt werden, Ali lud mich zusammen mit seiner Freundin in ein hübsches Lokal ein, und immer wieder hieß es: Ja, das ist jetzt das letzte mal!!
Ich wurde gefragt: Wie waren denn die Tage in Ankara für dich?
Auf jeden Fall anregend, ich habe viel Neues kennengelernt. Auch behaglich im Sinne eines guten Aufgehobenseins in meiner Gastfamilie. Dann aber auch anstrengend, weil das Leben hier in der Großstadt für mich manchmal zu laut war, weil meine Sprachkenntnisse mit meinen Kommunikationsbedürfnissen nicht Schritt halten konnten, und weil ich letztlich immer selber gefordert war, etwas aus meiner Zeit zu machen.
Jetzt wird sich das ja ändern. In der Reisegruppe hoffe ich auf das Rundum-Sorglos-Paket, bei dem ich dauernd mit Infos gefüttert werde. Na, schaun mer mal.
Das Essen mit Ali und Eli verlief recht angenehm. Obwohl Eli kein Deutsch spricht und Englisch auch nur bruchstückhaft, haben wir uns trotzdem gut unterhalten. Wir hatten einen ausgezeichneten Vorspeisenteller (Meze nennt man das hier), von dem ich allein schon satt geworden worden wäre, und dannach gabs noch ein köstlich gegrilltes Lammgericht, mit dem wir uns dann endgültig die Bäuche vollschlugen. D.h. eigentlich waren es wohl eher Ali und ich, die sich die Bäuche vollschlugen, Eli musste diäthalber ihre Nahrungszufuhr begrenzen. Dazu tranken wir eine ganze Flasche Raki.
Später trafen wir dann noch Atla, einen Übersetzerkollegen von Ali, mit dem wir in einer Bierkneipe versackten. Mit Atla gerät man immer in politische Diskussionen. Diesmal verstieg er sich zu der Behauptung, dass der radikale Islam vom Westen gesponsert würde. Nur durch die hohe Aufmerksamkeit z.B. in Deutschland hätten sich die Moslems in den Islamschulen in Deutschland so radikalisiert.
Eine psychologisch nicht uninteressante These, gewiss, dennoch sollte man Psychologie nicht mit Politik verwechseln, und ich musste an dieser Stelle natürlich heftig widersprechen. Der radikale Islam als Ziehkind des Westens?
Auch Ali konfrontierte mich mit einem Verdacht: Ob der Westen nicht insgeheim die Politik von Erdogan unterstütze und die Opposition in ihrem Kampf um Demokratie in der Türkei allein lasse?
Ich versicherte ihm, dass der Westen zwar an stabilen Verhältnissen in der Türkei interessiert sei, dass die AKP aber von Türken und nicht von Deutschen gewählt werde.
Ich habe viel in diesen Tagen diskutiert, so viel, wie lange nicht mehr. Ich habe auch viel Neues erfahren.
Die Separationsbestrebungen der Kurden z.B. sind immer noch ein heisses Thema, welches schnell in Gewalt umschlagen kann. Die PKK hält nur still, weil Erdogan ihr Versprechungen gemacht hat, an die er sich jetzt aber nicht hält. Es könnte bald wieder heisser werden im Kurdenkonflikt.
Ali, obwohl sich selbst zum modernen und aufgeklärten Bevölkerungsanteil der türkischen Aleviten zählend, bewahrt ein ganz traditionelles Männerbild. Er als Gastgeber hat zu bezahlen, wenn wir in eine Kneipe gehen. Es braucht regelrechte Kämpfe, damit ich auch einmal die Zeche übernehmen darf. Auf keinen Fall darf die Freundin zahlen, obwohl sie finanziell wahrscheinlich besser gestellt ist als Ali.
Auch die Höhe des Gastgeldes, welches ich für meinen Aufenthalt in der Familie und die sprachliche Unterstützung durch Ali bezahlt habe, wurde arabisch ausgehandelt. Über Geld wurde nicht geredet, ich war einfach nur Gast. Gleichzeitig wurde ich mit allen Annehmlichkeiten verwöhnt. Als ich mich dann schließlich entschloss, einen Vorschlag für die Höhe des Kostgeldes zu machen, geschah dies in einer Situation großer Unsicherheit über die Angemessenheit des Preises. So weiß ich auch jetzt nicht, ob der Preis in Ordnung ist, ob ich großzügig gezahlt habe, oder ob er als zu gering angesehen wird. Das scheint mir das orientalische Prinzip des Handels zu sein: Freundschaft und Handel wird in einen Topf geschmissen, heraus kommt ein Mischmasch unklarer Freundschafts- und Wirtschaftsbeziehungen.
Es sind diese Erinnerungen, die mir von meinem Aufenthalt in Ankara bleiben werden. Noch etwas: So viel gebloggt hab ich überhaupt noch auf keiner Reise. Na ja, es war auch eine gute Möglichkeit, mich vom Türkisch-Lernen abzuhalten.