Ich hatte euch ja schon angekündigt, dass der letzte Blogeintrag etwas Besonderes sein sollte: Wir hatten in der "Geschichtenküche" verabredet, dass wir eine außerordentliche Geschichte schreiben wollten. Etwas, was wir schon länger vorhatten, was bisher jedoch nicht realisiert worden war.
Bei mir ist dann nicht mehr zustande gekommen als der letzte Blogeintrag, aber immerhin.
Nun, am letzten Wochenende war wieder "Geschichtenküche". Es sind drei Geschichten entstanden, die ich euch jetzt im Blog präsentiere mangels entsprechender Reiseerlebnisse. Aber da es sich ja um eine Phantasiereise handelt sozusagen, finde ich es auch wieder richtig, sie hier zu veröffentlichen.
Vielleicht noch kurz etwas zur "Geschichtenküche":
Im Rahmen der VHS und angeleitet von Thomas trifft sich ein kleines Grüppchen von Schreibbegeisterten 3-4mal im Jahr am Wochenende, um gemeinsam, aber jeder für sich, kleine Texte zu verfassen. Diese können zustande kommen durch Ideen von Thomas oder durch irgendwelche Wortspiele. Meist haben wir nicht mehr als eine halbe Stunde Zeit, um solch eine Geschichte zu verfassen, und es ist erstaunlich, was in einer halben Stunde alles entstehen kann.
Natürlich kann ich euch nur meine Geschichten zeigen. Es ist ja alles vertraulich! Wenn ihr mehr darüber wissen wollt, probiert`s doch einfach mal aus. Nennt sich "Creative Writing".
Die erste Geschichte heißt:
Reise nach Südafrika
Die Reise war schon lange geplant. Ursprünglich wollte Albert Verena die Orte zeigen, an denen er bei einem früheren Aufenthalt in Südafrika glücklich gewesen war. Nun war alles anders gekommen.
Verena hatte sich völlig überraschend von ihm getrennt, und Albert stand vor der Wahl, die Reise abzusagen oder sie allein anzutreten.
Seine Freunde hatten ihm zugeraten: "Du musst hier raus. Luftveränderung wird dir gut tun." Und so war er los gefahren ohne viel Hoffnung, sich wirklich von der Bitterkeit lösen zu können, die ihn seit Verenas Weggang im Griff hatte.
Für Kapstadt waren drei Tage eingeplant für eine ausgiebige Stadtbesichtigung mit dem Bo Malai-Viertel, Aufstieg auf den Tafelberg, Busrundfahrt zm Kap der guten Hoffnung und nächtlichem Ausgang an der Waterfront. Albert beschloss, einige Angebote nicht wahrzunehmen. Am Kap war er schon gewesen. Diesen Tag würde er auf eigene Faust gestalten und Orte aufsuchen, die er von früher her in angenehmer Erinnerung hatte.
Am Ostrand des Tafelbergs liegt der Botanische Garten, der immer schon auf Albert einen besonderen Reiz ausgeübt hatte. Hier wollte er einige ruhige Stunden verbringen, bevor er sich am Abend beim Besuch eines Musical-Theaters an der Waterfront seiner Reisegruppe wieder anschloss.
Er fuhr mit dem Taxi zum Botanischen Garten, wohlwissend, welche Risiken der öffentliche Nahverkehr barg. Er wusste aber auch, dass er sich im Garten selbst sicher fühlen konnte. Zu hoch war der Eintrittspreis und zu streng die Sicherheitsvorkehrungen. Im Park hätte er endlich Zeit, um über sich und seine Situation nach dem Fortgang von Verena nachzudenken.
Er hatte sich mit einer guten Kamera, einem Reiseführer und dem neuesten Roman von Ulla Hahn ausgerüstet, den er irgendwo auf einer einsamen Parkbank lesen wollte.
Die Bank war bald gefunden. Die mächtigen Äste eines Magnolienbaumes spendeten geruhsamen Schatten, und Albert nahm aufseufzend Platz. Intensiv drangen die Geräusche des Parks zu ihm hinüber. Es waren nur wenige Menschen anwesend, aber das Geschrei der Vögel und Insekten war um so lauter. Innerer Friede bereitete sich in ihm aus.
Plötzlich spürte er etwas Kaltes an der rechten Schläfe. "Don`t move" hörte er eine kehlige Stimme sagen und realisierte aus dem Augenwinkel, dass ihm eine Pistole an den Kopf gehalten wurde.
"Gimme Money" forderte die Stimme und "Gimme camera, gimme watch" ging es weiter. Albert kam allen Aufforderungen widerstandslos nach.
Dann liess der Druck der Pistole an der Schläfe nach. "Don`t move. Stay here" hörte er den Unbekannten sagen.
Albert bewegte sich nicht, blieb einfach sitzen. Langsam beruhigte sich sein Herzschlag. Albert wusste, dass er nur um ein Haar dem Tod entkommen war.
Nachdem es längere Zeit still geblieben war, wagte er es, sich umzudrehen. E war niemand mehr zu sehen. sein Blick fiel auf eine voll erblühte Strelizie, deren Blütenblätter wie bei einem Feuervogel in den Himmel strebten.
Albert atmete tief aus. Wie nahe waren Tod und Leben. Ein großer Trost stieg in ihm auf. Was zählte der Verlust der Kamera, der Uhr und des Geldes angesichts des Lebens, das er behalten hatte. Und im selben Moment wusste er, dass er auch den Verlust von Verena überwinden würde.
Und schon folgt die nächste Geschichte:
Sechs Worte sollten darin vorkommen: Dauerregen, Schaufenster, Mäusefrass, verzeihen, Brille und Husten
Regen am Wochenende
Es hatte den ganzen Samstag geregnet und hörte auch am Sonntag nicht auf. Albert hatte sich einen Tag lang in seinen großen Ohrensessel verzogen, die Lesebrille aufgesetzt und im Laufe des Tages zwei Kriminalromane durchgeschmökert. Eigentlich hätte er mit dem Verlauf des Wochenendes zufrieden sein können, wäre da nicht der Mäusefrass gewesen, der ihn aus der Höhlung seines Kühlschrankes her anstarrte.
Am Sonntag um 10 Uhr fasste er einen Entschluss. "Ich gehe in die Stadt und hole mir frische Brötchen". Auch der Dauerregen konnte ihn nicht daran hindern, den etwas längeren und beschwerlicheren Weg zum Bäcker Paul einzuschlagen, wusste er doch, dass es dort die besten Laugencroissants der Stadt gab.
Welche Enttäuschung, als er im Schaufenster ein Schild erblickte "Wegen Umbauarbeiten geschlossen". Schon wollte er sich auf den Weg zum nächsten Bäcker machen, als er mit Erstaunen bemerkte, dass zwei Männer durch die Eingangstür das Geschäft verliessen, über und über beladen mit reich gefüllten Bäckertüten.
"Was ist das denn?" dachte er, als auch schon eine dritte Person das Geschäft verließ. Er fasste sich ein Herz und sprach sie an: "Verzeihen Sie, mein Herr, ist das Geschäft doch geöffnet?"
Das Gesicht des Fremden war unter der Kapuze kaum zu erkennen. Er hörte ein schwaches Husten. "Ja, ja, gehen Sie nur rein", murmelte es Albert aus dem Halbdunkel des verborgenen Gesichts entgegen.
Mit der Hoffnung, doch noch zu seinen ersehnten Laugencroissants zu kommen, öffnete er die Ladentür und betrat das Geschäft. Doch welche Überraschung erwartete ihn: Das Geschäft war leer. Überall verstreut lagen Backwaren auf dem Boden, und die Ladenkasse war aufgebrochen. Bevor er noch recht begriffen hatte, in welchen Schlamassel er da hineingeraten war, hörte er auch schon das Martinshorn und sah das Blaulicht des Polizeifahrzeugs, welches mit quietschenden Bremsen vor der Tür hielt.
Die beiden Beamten machten kurzen Prozess mit ihm. Sie hatten ihm Handschellen angelegt, bevor er "Piep" sagen konnte. Spätestens jetzt wusste Albert, dass dieses Wochenende nicht zu den besten in seinem Leben zählen würde.
... und die dritte Geschichte:
Der lange Tag
Als erstes fiel Janine`s Blick auf die Deckenlampe. "Artemis" hatte sie nach langem Suchen bei Möbel Becker gefunden. Das graue Licht des Morgens fiel durch die Vorhänge und ließ die elegante Metallkonstruktion wie eine riesige Zikade an der Decke ihrer Altbauwohnung erscheinen. Wie spät? Halb sieben! Fast noch etwas früh. Sie musste erst um zehn im Studio sein. Was hatte sie geweckt?
Von draussen drangen Strassengeräusche herauf. Basel war bereits erwacht und auf dem Weg in einen sonnigen Tag.
Sie rollte sich aus dem Bett und griff verschlafen nach der Gymnastik Matte, die direkt am Bettpfosten plaziert war. Erst mal richtig dehnen und strecken. Janine wusste, wie wichtig tägliche Gymnastik für die Aufrechterhaltung körperlicher Fitness war. Und Fitness gehörte nun mal zum Geschäft.
Janine arbeitete nun schon seit zwei Jahren als freies Model. Seit dem Ende ihrer Ausbildung bei Stylish hatte sie sich ganz passabel durch geschlagen. Diese Wohnung hier in Basel war ihre feste Bleibe. Aber viel Zeit verbrachte sie nicht dort. In Rom, Berlin oder New York war sie in kleinen Hotels untergebracht, oft zusammen mit Kolleginnen, die ebenfalls für ein Shooting engagiert worden waren.
Langsam kehrten die Lebensgeister in Janines schmalen Leib zurück. Was würde sie sich heute zum Frühstück gönnen? Knäckebrot mit Magerquark, das Übliche? Oder mal ein Stück Apfel dazu?
Die Waage war Janines ständiger Begleiter. Die Grenze von 48 Kilo durfte sie nicht überschreiten. Janine wusste, dass dann keine Aufträge mehr kommen würden. Das war das ungeschriebene Gesetzt der Branche: BMI kleiner als 20. Anders geht gar nicht. Und Janine war mit 19 knapp dran an der Grenze.
Nach einer halben Stunde war der Kreislauf ordentlich in Schwung gekommen. Trotzdem sah das Gesicht, das ihr aus dem Spiegel im Bad entgegenblickte, bleich aus wie immer. Kritisch musterte sie sie Haare. Die würden eine Tönung brauchen. Augenbrauen mussten gezupft werden. Grundierung, Lidschatten, Rouge, Nagellack und Lippen - eine Stunde mindestens würde sie im Bad beschäftigt sein, bis sie sich in die Öffentlichkeit wagen könnte.
Um halb neun klingelte das Telefon. "Janine, Süsse, kannst Du mich auf dem Weg ins Studio mitnehmen? Ich stecke hier bei George fest und hab noch nicht mal gefrühstückt." "Klar, bin um halb zehn bei dir." Esther, die Direktionsassistentin war immer spät dran.
Es würde ein langer Tag werden heute. Studio bis um drei am Nachmittag, und dann noch mal raus fürs Abendlicht in die Langen Erlen. Als Janine um neun die Wohnungstür hinter sich schloss, war sie perfekt vorbereitet, um allen Widrigkeiten des Tages ein strahlendes Lächeln entgegensetzen zu können.
So, das waren mal drei Geschichten aus unserer Wochenend-Geschichtenküche.
Demnächst mehr aus diesem Theater.